Posi­ti­ons­pa­pier

Erar­bei­tet von Judith Alder, Rober­to Brio­schi, Alfred Künz­ler, Heloi­sa Mar­ti­no, Gion Duno Sime­on und Regi­ne Stritt­mat­ter – ver­ab­schie­det durch die Grün­dungs­ver­samm­lung am 21. März 2011.

Posi­ti­ons­pa­pier chronischkrank.ch

Der Ver­ein chronischkrank.ch ortet Lücken und Hand­lungs­be­darf in der psy­cho­lo­gi­schen Ver­sor­gung chro­nisch kör­per­lich Kran­ker. Die Unter­ver­sor­gung ist umso stos­sen­der als wis­sen­schaft­lich fun­dier­tes psy­cho­lo­gi­sches Know-how zur Ver­fü­gung steht, um einen güns­ti­gen Krank­heits­ver­ar­bei­tungs­pro­zess zu unter­stüt­zen und die Lebens­si­tua­ti­on chro­nisch kör­per­lich Kran­ker ent­schei­dend zu ver­bes­sern. Der Ver­ein will die­sen Miss­stand beheben.

Sinn die­ses Posi­ti­ons­pa­piers ist es, einen kur­zen Über­blick über die psy­cho­so­zia­le Dimen­si­on chro­ni­scher kör­per­li­cher Erkran­kun­gen und das Poten­ti­al der psy­cho­lo­gi­schen Arbeit mit kör­per­lich chro­nisch Kran­ken zu geben und die Zie­le und Auf­ga­ben des neu­en Ver­eins chronischkrank.ch zu skizzieren.

Die Ergeb­nis­se der Schwei­ze­ri­schen Gesund­heits­be­fra­gung 2007 zei­gen, dass in der Schweiz 27,3% der Bevöl­ke­rung an einer chro­ni­schen Krank­heit oder an einem chro­ni­schen gesund­heit­li­chen Pro­blem lei­det [1], geschätz­te 19% der Gesamt­be­völ­ke­rung sind in regel­mäs­si­ger medi­zi­ni­scher Betreu­ung wegen einer chro­ni­schen Krank­heit. Dies ent­spricht auch den Schät­zun­gen der schwei­ze­ri­schen Gesund­heits­li­gen, die davon aus­ge­hen, dass bis zu zwei Mil­li- onen Per­so­nen von einer chro­ni­schen kör­per­li­chen Erkran­kung betrof­fen sind. Gemeint sind damit in der Regel lan­ge andau­ern­de und oft pro­gre­di­ent ver­lau- fen­de kör­per­li­che Krank­hei­ten wie Herz-Kreis­lauf- und rheu­ma­ti­sche Erkran- kun­gen, chro­ni­sche Schmer­zen, Krebs, Lun­gen­er­kran­kun­gen, Dia­be­tes, neu­ro- logi­sche Erkran­kun­gen und All­er­gien. Chro­ni­sche Krank­hei­ten gehen in der Regel mit einer Ein­schrän­kung der Funk­ti­ons­fä­hig­keit einher.

Mehr als ein Vier­tel der schwei­ze­ri­schen Bevöl­ke­rung lei­det an einer chro­ni­schen kör­per­li­chen Krankheit

Bei einer geschätz­ten Bevöl­ke­rungs­zahl von 407 Mio. Men­schen, die in Euro­pa in Län­dern mit hohem Ein­kom­men leben, gehen mehr als 25 Mio. Lebens­jah­re auf­grund einer chro­ni­schen Krebs‑, Herzkreislauf‑, Lungen‑, gas­tro­in­testi­na­len, endo­kri­nen oder mus­ku­los­ke­letta­len Krank­heit wegen Tod oder Behin­de­rung ver­lo­ren (DALY) [2]. Von chro­ni­schen Erkran­kun­gen betrof­fen sind Kin­der, Jugend­li­che und Erwach­se­ne. Im Alter tre­ten chro­ni­sche Krank­hei­ten gehäuft und oft mit kom­ple­xen soma­ti­schen und psy­chi­schen Kom­or­bi­di­tä­ten auf. Nach Berech­nun­gen der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO wer­den chro­ni- sche Lei­den im Jah­re 2020 etwa 60% aller Erkran­kun­gen aus­ma­chen; 43% der Gesamt­be­völ­ke­rung und 70% der über 65-Jäh­ri­gen wer­den an mind. einer chro­ni­schen Krank­heit lei­den [3]. Bereits im Jah­re 2003 wur­den 93% aller Pfle- geleis­tun­gen in Hei­men für alters- und chro­nisch kran­ke Men­schen erbracht, wobei die­se Kos­ten zwi­schen 1999 und 2003 um 6% pro Jahr zuge­nom­men haben [4].
Chro­ni­sche kör­per­li­che Erkran­kun­gen sind des­halb sowohl für die Pati­en­ten, für die Fami­li­en und Ange­hö­ri­gen als auch aus öko­no­mi­scher und sozi­al­po­li­ti- scher Sicht von gros­ser Bedeu­tung. So bezo­gen 2009 in der Schweiz ins­ge­samt 94’000 Men­schen eine IV-Ren­te auf­grund einer chro­ni­schen kör­per­li­chen Krank­heit [5]. Bereits heu­te wer­den 70% der Gesund­heits­kos­ten in Euro­pa und Ame­ri­ka durch chro­ni­sche Krank­hei­ten und Mul­ti­mor­bi­di­tät ver­ur­sacht [6]. Im Kran­ken­ver­si­che­rungs­be­reich gel­ten chro­ni­sche Krank­hei­ten als sogenannte
„Hoch­kos­ten­fäl­le“: Erkrank­te (ohne Unfall), die jähr­li­che Kos­ten von 20‘000 CHF und dar­über aus­lö­sen [7]. In ihrer Vor­stu­die zu Hoch­kos­ten­fäl­len in der Kran­ken­ver­si­che­rung aus dem Jah­re 2005 bemer­ken Som­mer und Bier­sack, dass bei der Cha­rak­te­ri­sie­rung der Krank­heits­bil­der von Hoch­kos­ten­fäl­len zwar beträcht­li­che Infor­ma­ti­ons­lü­cken bestehen. Den­noch lies­sen sich aus der Ana- lyse der Hoch­kos­ten­fäl­le im MediX-Ärz­te­ver­bund Zürich u. a. fol­gen­de Erkran- kun­gen als die häu­figs­ten fest­stel­len: Dia­ly­sen, koro­na­re Herz­krank­hei­ten, Oeso­pha­gus- und Kolon­kar­zi­nom. Zusam­men genom­men, haben die häu­figs- ten Dia­gno­sen Jah­res­kos­ten zwi­schen ca. 40‘000 CHF bis zu knapp 400‘000 CHF ver­ur­sacht, was 30% der Gesamt­kos­ten ausmachte.
Die oben erwähn­ten aus­ge­wähl­ten Stu­di­en­ergeb­nis­se legen die gros­se volks- wirt­schaft­li­che Bedeu­tung chro­ni­scher Erkran­kun­gen nahe. Jede Mög­lich­keit zur Opti­mie­rung der Ver­sor­gung chro­nisch erkrank­ter Men­schen soll­te somit auch aus öko­no­mi­scher Sicht genutzt werden.

Die psy­cho­so­zia­len Belas­tun­gen, die mit einer chro­ni­schen kör­per­li­chen Er- kran­kung ein­her­ge­hen, sind viel­fäl­tig. Je nach Erkran­kung stel­len sich in Ab- hän­gig­keit von Beginn und Ver­lauf, dem Behand­lungs­auf­wand, der Kon­trol- lier­bar­keit und Art sowie Schwe­re der Sym­pto­ma­tik ande­re Anfor­de­run­gen, die sich mass­geb­lich auf das psy­cho­so­zia­le Funk­ti­ons­ni­veau aus­wir­ken kön- nen. Häu­fig sind die Ursa­chen der Sym­pto­me bei kör­per­lich chro­ni­schen Krank­hei­ten kom­plex, kön­nen nicht abschlies­send geklärt wer­den und sind nicht ursäch­lich zu behan­deln. Neben der Belas­tung auf­grund von Krank­heits- sym­pto­men und Behand­lungs­ne­ben­wir­kun­gen kön­nen sich exis­ten­ti­el­le und spi­ri­tu­el­le Fra­gen auf­drän­gen, Schwie­rig­kei­ten im Umgang mit dem medi­zi­ni- schen Sys­tem erge­ben, fami­liä­re, sozia­le, finan­zi­el­le und beruf­li­che Belas­tun- gen sowie emo­tio­na­le und psy­chi­sche Pro­ble­me entwickeln.

Die psy­cho­so­zia­len Belas­tun­gen, die mit chro­ni­schen kör­per­li­chen Erkran­kun­gen ein­her­ge­hen, sind viel­fäl­tig. Die Ursa­che kann häu­fig nicht abschlies­send geklärt werden.

Somit gehen chro­ni­sche kör­per­li­che Erkran­kun­gen mit Ver­än­de­run­gen in Berei­chen wie Arbeit, Fami­lie und sozia­le Umge­bung ein­her, die vom Betrof­fe­nen eine kom­ple­xe Anpas­sungs­leis­tung erfor­dern. Krank­heits­be­wäl­ti­gung bezeich­net das Bemü­hen, bestehen­de oder zu erwar­ten­de Belas­tun­gen durch die Krank­heit inner­psy­chisch (emo­tio­nal-kogni­tiv) oder durch ziel­ge­rich­te­tes Ver­hal­ten und Han­deln zu redu­zie­ren, aus­zu­glei­chen und zu ver­ar­bei­ten [8]. Es han­delt sich dabei um ein pro­zess­haf­tes Gesche­hen, wel­ches abhän­gig ist vom Krank­heits­ver­lauf und den Betrof­fe­nen wie auch von deren Umfeld.
Ein güns­ti­ger Krank­heits­ver­ar­bei­tungs­pro­zess liegt vor, wenn adap­ti­ve Auf­ga­ben erfolg­reich aus­ge­führt wer­den kön­nen, ein adäqua­tes, an den Zustand ange­pass­tes Funk­ti­ons­ni­veau erreicht wird, sich auf­grund der kör­per­li­chen Erkran­kung kei­ne psy­chi­sche Kom­or­bi­di­tät ent­wi­ckelt und eine gute Zufrie­den­heit mit und Wohl­be­fin­den in ver­schie­de­nen Lebens­be­rei­chen besteht (gesund­heits­be­zo­ge­ne Lebens­qua­li­tät) [9].

Krank­heits­be­wäl­ti­gung bezeich­net das Bemü­hen, Belas­tun­gen durch die Krank­heit inner­psy­chisch und durch ziel­ge­rich­te­tes Ver­hal­ten zu redu­zie­ren, aus­zu­glei­chen und zu verarbeiten.

Chro­ni­sche Krank­hei­ten gehen mit einer hohen psy­chi­schen Kom­or­bi­di­tät ein­her, was als wich­ti­ges Kri­te­ri­um einer mal­adap­ti­ven Krank­heits­ver­ar­bei­tung gilt [10]. So liegt die Prä­va­lenz von psy­chi­schen Stö­run­gen bei Krebs­er­krank­ten im Initi­al­sta­di­um bei 31.7% bzw. ca. 50% im pal­lia­ti­ven Sta­di­um [11, 12]. Ca. 20–40% ent­wi­ckeln nach einem Herz­in­farkt eine depres­si­ve Stö­rung [10] und eine kli­ni­sche rele­van­te Depres­si­on liegt bei ca. 30%, eine Angst­stö­rung bei ca. 15% der Pati­en­ten mit einer chro­nisch obstruk­ti­ven Lun­gen­er­kran­kung vor [13]. Das Risi­ko eine Depres­si­on oder Angst­stö­rung zu ent­wi­ckeln, ist bei Per­so­nen mit chro­ni­schen Schmer­zen zwei­mal so hoch wie bei Per­so­nen ohne chro­ni­sche Schmer­zen [14].

Chro­ni­sche Krank­hei­ten gehen mit einer hohen psy­chi­schen Kom­or­bi­di­tät einher.

Das Vor­lie­gen von psy­chi­schen Stö­run­gen, ins­be­son­de­re depres­si­ver Erkran­kun­gen, wur­de ver­schie­dent­lich als Risi­ko­fak­tor für die Ent­wick­lung bestimm­ter chro­ni­scher kör­per­li­cher Erkran­kun­gen iden­ti­fi­ziert [15, 16]. Zudem wir­ken sich psy­chi­sche Stö­run­gen nega­tiv auf die Pro­gno­se von chro­ni­schen Krank­hei­ten aus. Der Ein­fluss auf die Mor­ta­li­tät trifft ins­be­son­de­re auf kar­dio­vas­ku­lä­re Erkran­kun­gen und Dia­be­tes zu [15–17]. Eine nega­ti­ve Aus­wir­kung auf die gesund­heits­be­zo­ge­ne Lebens­qua­li­tät und eine Chro­ni­fi­zie­rung der Krank­heit zeigt sich aber für die Mehr­zahl chro­ni­scher kör­per­li­cher Erkran­kun­gen [18]. Dies lässt sich auf Com­pli­ance-Pro­ble­me, ein ungüns­ti­ge­res Gesund­heits­ver­hal­ten von psy­chisch belas­te­ten Per­so­nen (u.a. im Sin­ne eines dys­funk­tio­na­len Copings) und den direk­ten patho­phy­sio­lo­gi­schen Ein­fluss der psy­chi­schen Stö­rung zurück­füh­ren. Neben der Sym­ptom­be­hand­lung geht es in der psy­cho­lo­gi­schen Arbeit mit chro­nisch kör­per­lich Kran­ken damit immer auch um den Erhalt bzw. die Wie­der­her­stel­lung der psy­chi­schen Gesundheit.

Eine psy­chi­sche Stö­rung kann einen Risi­ko­fak­tor für die Ent­wick­lung einer chro­ni­schen Krank­heit dar­stel­len und deren Verlauf.

Ver­schie­de­ne Unter­su­chun­gen wei­sen dar­auf hin, dass die Detek­ti­ons­ra­te einer psy­chi­schen Kom­or­bi­di­tät bei chro­ni­schen kör­per­li­chen Krank­hei­ten durch den behan­deln­den Arzt nied­rig ist, was ange­sichts der beschrie­be­nen nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf den Krank­heits­ver­lauf einer psy­chi­schen Krank­heit als pro­ble­ma­tisch anzu­se­hen ist [19]. Die Ver­bes­se­rung der Sen­si­bi­li­sie­rung und der Auf­bau von dia­gnos­ti­schen Fer­tig­kei­ten, gege­be­nen­falls auch die Ein­füh­rung von Mass­nah­men der früh­zei­ti­gen Erken­nung von psy­chi­scher Belas­tung ist damit auch ein wich­ti­ger Fokus der inter­dis­zi­pli­nä­ren Betreu­ung von Pati­en­ten mit chro­ni­schen kör­per­li­chen Krankheiten.

Psy­chi­sche Stö­run­gen bei Pati­en­ten mit chro­ni­schen kör­per­li­chen Krank­hei­ten blei­ben häu­fig unerkannt.

Eine oft dis­ku­tier­te Pro­ble­ma­tik und ein Hin­der­nis bei der Ein­füh­rung von soge­nann­ten Belas­tungs­scree­nings jedoch sind, dass sich die Über­wei­sung in eine psy­cho­lo­gi­sche Behand­lung als schwie­rig erweist. Dies ist einer­seits dar­auf zurück­zu­füh­ren, dass nicht alle Insti­tu­tio­nen im Kon­si­li­ar- oder Liai­son­mo­dell arbei­ten. So zeigt eine aktu­ell lau­fen­de Stu­die der Uni­ver­si­tät Zürich bis­her, dass eine inter­dis­zi­pli­nä­re Betreu­ung von chro­nisch kör­per­lich Kran­ken in der Mehr­zahl der öffent­li­chen und pri­va­ten Kli­ni­ken den Ein­be­zug von Psy­cho­lo­gen oder / und Kon­si­li­ar­psych­ia­trie nicht mit­ein­schliesst. Ande­rer­seits erweist sich die Über­wei­sung in eine ambu­lan­te Psy­cho­the­ra­pie auf­grund der Unter­ver­sor­gung psy­chisch Kran­ker als gene­rell schwierig.

Es besteht ein Man­gel an insti­tu­tio­nell ver­an­ker­ter psy­cho­lo­gi­scher Ver­sor­gung von Pati­en­ten mit chro­ni­schen kör­per­li­chen Krankheiten.

Dies ist u.a. dar­auf zurück zu füh­ren, dass die Ver­net­zung von Insti­tu­tio­nen und Pra­xisärz­ten mit ambu­lan­ten psy­cho­lo­gi­schen Ange­bo­ten bis­her zu wenig aus­ge­baut ist und im gan­zen Pro­zess der Krank­heits- und Belas­tungs­ver­ar­bei­tung spe­zia­li­sier­te Psy­cho­lo­gIn­nen feh­len. Auch sind deren Behand­lungs­kos­ten nicht immer durch die Grund­ver­si­che­rung gedeckt. Schliess­lich kann sich aber auch die Sor­ge einer zusätz­li­chen Stig­ma­ti­sie­rung auf die Bereit­schaft, eine psy­cho­lo­gi­sche Begleit­be­hand­lung zu indi­zie­ren oder in Anspruch zu neh­men, aus­wir­ken: die Stig­ma­ti­sie­rung, an einer chro­ni­schen kör­per­li­chen Krank­heit zu lei­den, ist für ver­schie­de­ne Pati­en­ten­grup­pen eine Rea­li­tät. Durch die Aner­ken­nung, dass sich die Erkran­kung dabei auch auf das psy­chi­sche Wohl­be­fin­den aus­wirkt und pro­fes­sio­nel­le Hil­fe für die Krank­heits­be­wäl­ti­gung in Anspruch genom­men wird, kann es zu einer zusätz­li­chen Stig­ma­ti­sie­rung kommen.

Befürch­tung einer dop­pel­ten Stigmatisierung

Ange­bo­te an psy­cho­lo­gi­scher Unter­stüt­zung für chro­nisch kör­per­lich Kran­ke und deren Ange­hö­ri­ge sind damit auf der gesam­ten Län­ge der Pati­en­ten­pfa­de, von der Abklä­rung über Dia­gno­se­stel­lung, dem Leben mit der Krank­heit und der Beglei­tung bis zum Lebens­en­de noch für vie­le Betrof­fe­ne die Ausnahme.

Defi­zi­te in der Aus- und Weiterbildung

Auch in der Aus- und Wei­ter­bil­dung muss ein Defi­zit iden­ti­fi­ziert wer­den, indem sowohl im Stu­di­um der Psy­cho­lo­gie als auch in der psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Wei­ter­bil­dung die Behand­lung von chro­nisch kör­per­lich kran­ken Pati­en­ten einen klei­nen Stel­len­wert ein­nimmt. Nicht nur in Fach­krei­sen son­dern auch auf gesell­schafts­po­li­ti­scher Ebe­ne bedarf es hier einer Sen­si­bi­li­sie­rung für die Belas­tun­gen und ergän­zen­den Behand­lungs­in­di­ka­tio­nen bei chro­ni­scher kör­per­li­cher Erkrankung.

Psy­cho­lo­gie kann zur Prä­ven­ti­on und Behand­lung von chro­nisch kör­per­li­chen Erkran­kun­gen wesent­li­che Bei­trä­ge leis­ten. Bei eini­gen Krank­heits­bil­dern sind Mass­nah­men zur Krank­heits­ver­hü­tung zen­tra­le gesund­heits­po­li­ti­sche Auf­ga­ben. Bei­spie­le dazu sind das Moti­vie­ren der Bevöl­ke­rung zur Ände­rung von Risi­ko­ver­hal­ten wie Rau­chen oder unge­schütz­ter Geschlechts­ver­kehr, ande­rer­seits zu gesund­heits­för­der­li­chem Ver­hal­ten wie aus­rei­chen­de Bewe­gung, ange­mes­se­ne Ernäh­rung oder regel­mäs­si­ge Vorsorgeuntersuchungen.
Psy­cho­lo­gi­sche Arbeit ist auch im Bereich der Krank­heits­be­hand­lung und im Umgang mit Krank­heits­fol­gen bedeut­sam. Die Wirk­sam­keit psy­cho­lo­gi­scher Unter­stüt­zung gilt für vie­le chro­ni­sche kör­per­li­che Krank­hei­ten als nach­ge­wie­sen. So ver­bes­sert die Teil­nah­me an psy­cho­edu­ka­ti­ven Ange­bo­ten die glyk­ämische Kon­trol­le bei Pati­en­ten mit Dia­be­tes [20, 21], wäh­rend Inter­ven­tio­nen für Herz­pa­ti­en­ten, wel­che in der Regel Psy­cho­edu­ka­ti­on, kogni­tiv-beha­vi­ora­le und sup­port­i­ve Ele­men­te sowie Ent­span­nungs­trai­ning beinhal­ten sowohl phy­sio­lo­gi­sche Para­me­ter, das Herz­in­farkt­ri­si­ko und die Mor­ta­li­tät als auch die psy­chi­sche Adapt­a­ti­on ver­bes­sern [22]. Eben­so ist die Wirk­sam­keit psy­cho­lo­gi­scher Inter­ven­tio­nen für die Ver­bes­se­rung des kör­per­li­chen und psy­chi­schen Funk­ti­ons­ni­veaus u.a. bei chro­ni­schen Schmerz­pa­ti­en­ten [23] und Krebs­er­krank­ten [24] nachgewiesen.

Die Wirk­sam­keit von psy­cho­lo­gi­schen Inter­ven­tio­nen als Begleit­be­hand­lung zur soma­ti­schen The­ra­pie ist viel­fach nachgewiesen.

Wäh­rend die­se Behand­lungs­an­ge­bo­te rela­tiv stan­dar­di­siert und häu­fig in Grup­pen erfol­gen, fokus­sie­ren psy­cho­lo­gi­sche Mass­nah­men auf der Ebe­ne des Indi­vi­du­ums dar­auf, dem Betrof­fe­nen Halt zu geben und ihn im Umgang mit der Erkran­kung und deren Aus­wir­kun­gen zu unter­stüt­zen. Psy­cho­lo­gi­sche Inter­ven­tio­nen för­dern den Auf­bau indi­vi­du­el­ler und sozia­ler Res­sour­cen, set­zen beim Umgang mit Sym­pto­men an, för­dern Ein­stel­lungs- und Ver­hal­tens­än­de­run­gen, die sich auf das Gesund­heits­ver­hal­ten des Pati­en­ten im Sin­ne einer Sekun­där­prä­ven­ti­on aus­wir­ken. So setzt auch das Chro­nic Care Modell auf den Auf­bau der Pati­en­ten­kom­pe­tenz und Selbst­ma­nage­ment-Fer­tig­kei­ten, mit dem Ziel, die Pati­en­ten­rol­le (und ggf. der Ange­hö­ri­gen) im Sin­ne Kom­pe­tenz und Empower­ment zu stär­ken und die Bewäl­ti­gung im All­tag auf kör­per­li­cher, emo­tio­na­ler und sozia­ler Ebe­ne zu ver­bes­sern [25].

Psy­cho­lo­gi­sche Inter­ven­tio­nen akti­vie­ren Res­sour­cen und unter­stüt­zen die Krankheitsbewältigung.

Psy­cho­lo­gi­sche Ange­bo­te las­sen sich sehr gut ins Chro­nic Care Modell integrieren

Sowohl grup­pen- als auch ein­zel­the­ra­peu­ti­sche Ange­bo­te unter­stüt­zen den Pati­en­ten im Umgang mit kör­per­li­chen Ver­än­de­run­gen, ein­ge­schränk­ter Leis­tungs­fä­hig­keit und in der Klä­rung von Lebens­per­spek­ti­ven. Ins­be­son­de­re Befun­de aus der Ver­hal­tens­me­di­zin wei­sen auf den güns­ti­gen psy­cho­neu­ro­im­mu­no­lo­gi­schen Ein­fluss von psy­cho­lo­gi­schen Inter­ven­tio­nen hin, die für die güns­ti­gen kör­per­li­chen und psy­chi­schen Ver­än­de­run­gen ver­ant­wort­lich sind (sie­he bspw. [26]).

Das Krank­heits­fol­gen­mo­dell der WHO beschreibt die Aus­wir­kun­gen chro­ni­scher Erkran­kun­gen in den drei Dimen­sio­nen Kör­per, Akti­vi­tät und Partizipation.

Zu den psy­cho­lo­gi­schen Mass­nah­men gehö­ren nebst Psy­cho­the­ra­pie auch psy­cho­lo­gi­sche Bera­tung, Infor­ma­ti­on bzw. Wei­ter­bil­dung sowie Pati­en­ten­schu­lung. Psy­cho­ge­ne Ursa­chen sind bei den meis­ten chro­nisch kör­per­li­chen Krank­hei­ten nicht nach­weis­bar, so dass als Grund­la­ge für psy­cho­lo­gi­sche Inter­ven­tio­nen das Krank­heits­fol­gen­mo­dell der WHO [27] ange­wen­det wer­den kann. Aus­wir­kun­gen chro­ni­scher Erkran­kun­gen sind dem­nach in den drei Dimen­sio­nen «Funk­tio­nen des Kör­pers», «Akti­vi­tä­ten der Per­son» und «Par­ti­zi­pa­ti­on an der Umwelt» zu betrach­ten, immer je unter einem Pro­blem- und einem Res­sour­cen­aspekt. Abschlies­send eine Über­sicht der Inter­ven­tio­nen in der Reha­bi­li­ta­ti­ons­psy­cho­lo­gie, für die ein Effek­ti­vi­täts­nach­weis vorliegt:

Funk­ti­on (Kör­per):
Ersatz­stra­te­gien bei neu­ro­psy­cho­lo­gi­schen Defiziten
Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien bei Fati­gue oder Schmerz
Bera­tung bei Adhe­rence-/Mo­ti­va­ti­ons­pro­ble­men
Informationen/Unterstützung zu gesund­heits­för­der­li­chen Verhaltensweisen

Akti­vi­tät (Per­son):
Prä­ven­ti­on bzw. Psy­cho­the­ra­pie psy­chi­scher Folgestörungen
Psy­cho­lo­gi­sche Beglei­tung zu The­men der Krank­heits­be­wäl­ti­gung, Sinnfindung,
Lebensperspektiven
För­de­rung eige­ner Res­sour­cen (z.B. Ent­span­nung, Kreativität)
Bera­tung in Entscheidungssituationen
Stressbewältigungs‑, Problemlösetraining

Par­ti­zi­pa­ti­on (Umwelt):
Prä­ven­ti­on bzw. Paar-/Fa­mi­li­en­the­ra­pie fami­liä­rer Konflikte
Selbstsicherheits‑, sozia­les Kompetenztraining
Impul­se zur Erwei­te­rung von Inter­es­sen und deren Umsetzung
Coa­ching im Arbeitsbereich

Aus­ge­hend von den nega­ti­ven volks­wirt­schaft­li­chen, indi­vi­du­el­len und sozia­len Fol­gen chro­nisch kör­per­li­cher Krank­hei­ten, dem Poten­zi­al der Psy­cho­lo­gie, die­se zu mini­mie­ren, und der kon­tras­tie­ren­den psy­cho­lo­gi­schen Unter­ver­sor­gung der Betrof­fe­nen sol­len Wege zur Ver­bes­se­rung die­ser unbe­frie­di­gen­den Situa­ti­on gesucht werden.

Ziel der Ver­bes­se­rung der psy­cho­lo­gi­schen Ver­sor­gung chro­nisch kör­per­lich kran­ker Men­schen durch Anwen­dung wis­sen­schaft­lich begrün­de­ter psy­cho­lo­gi­scher Methoden.

Der Ver­ein setzt sich ein für die Ver­bes­se­rung der psy­cho­lo­gi­schen Ver­sor­gung chro­nisch kör­per­lich kran­ker Men­schen durch Anwen­dung wis­sen­schaft­lich begrün­de­ter psy­cho­lo­gi­scher Metho­den. Die vor­han­de­nen fun­dier­ten und dafür nütz­li­chen psy­cho­lo­gi­schen Kom­pe­ten­zen sol­len zum Vor­teil der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wie auch der nicht psy­cho­lo­gisch aus­ge­bil­de­ten Behan­deln­den ein­ge­bracht und ein grund­le­gen­des Ver­ständ­nis für die psy­cho­so­zia­len Dimen­sio­nen kör­per­li­cher Erkran­kun­gen im medi­zi­ni­schen Behand­lungs­sys­tem und in der Bevöl­ke­rung geför­dert werden.

Als Mit­tel zur Ver­bes­se­rung der psy­cho­lo­gi­schen Ver­sor­gung chro­nisch kör­per­lich Kran­ker die­nen u.a.:

  • a) Koor­di­na­ti­on
    Ver­net­zen bestehen­der soma­ti­scher und psy­cho­so­zia­ler Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te für ein­zel­ne chro­ni­sche kör­per­li­che Krankheiten
  • b) Koope­ra­ti­on
    Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Ver­bän­den, Orga­ni­sa­tio­nen und Insti­tu­tio­nen, die die Anlie­gen des Ver­eins unterstützen
  • c) Wis­sens­trans­fer
    Ver­brei­tung wis­sen­schaft­lich begrün­de­ten psy­cho­lo­gi­schen Wis­sens zu kör­per­lich chro­ni­schen Krank­hei­ten, ins­be­son­de­re in die Aus‑, Wei­ter- und Fort­bil­dung der Behandelnden
  • d) Sen­si­bi­li­sie­rung
    För­dern des Bewusst­seins bei Betrof­fe­nen, Ange­hö­ri­gen, Behan­deln­den und der Gesell­schaft für die psy­chi­sche Ebe­ne chro­ni­scher kör­per­li­cher Krankheiten
  • e) Finan­zie­rung
    Eru­ie­ren von Mög­lich­kei­ten der Finan­zie­rung psy­cho­lo­gi­scher Angebote
  • f) Ver­sor­gungs­for­schung
    Daten­er­he­bung und Ana­ly­sen zur psy­cho­lo­gi­schen Ver­sor­gung chro­nisch kör­per­lich kran­ker Menschen
  • g) Kli­ni­sche Forschung
    För­dern der Erfor­schung psy­cho­lo­gi­scher Fak­to­ren bei der Ent­ste­hung, den Aus­wir­kun­gen und im Umgang mit chro­nisch kör­per­li­cher Erkrankung
  • h) Prä­ven­ti­on
    Im Sin­ne der Vor­beu­gung kön­nen auch (noch) aku­te kör­per­li­che Krank­heits­zu­stän­de zum Ziel­be­reich des Ver­eins werden
  • i) Früh­erken­nung
    För­dern von Mass­nah­men zur Früh­erken­nung von psy­chi­schen Risi­ko- und Pro­tek­tiv­fak­to­ren chro­ni­scher kör­per­li­cher Krankheiten

Biblio­gra­fie

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